Schweiz rettet EU-Binnenmarkt - dem Franken gefällt's

Die Schweizer Stahlindustrie fällt dem zwischen der EU-Kommission und der Regierung in Bern schwelenden Streit um ein Rahmenabkommen zum Opfer. Damit drängen sich drei Fragen auf:

  1. Werden als nächstes systemrelevante Wirtschaftszweige von neuen EU-Zöllen erfasst?
  2. Kommt es infolge zu einer Schweizer Wirtschaftskrise und Abschwächung des Frankens?
  3. Bleibt die Euro-Franken-Rate bis 2030 auf Kurs auf 0,80 zu sinken?

Stahl Gerlafingen steigt aus der Erzeugung von Baustählen aus und entlässt 95 Mitarbeiter. Der in Elektrohochöfen produzierende Traditionshersteller findet für seine betonverstärkenden Bewehrungsstähle keine Käufer mehr in den EU-Ländern. Ursache sind von der EU verhängte Zölle. Dadurch sind die Verkaufspreise für Stahl "Made in Switzerland" so sehr gestiegen, dass der Stahl unverkäuflich wurde.

Die Schweizer Stahlindustrie ist nach Aussage von Wirtschaftsminister Guy Parmelin nicht systemrelevant. Mit den günstigen und schnellen Lieferungen aus Drittstaaten in die EU könne die Schweizer Stahlindustrie nicht mithalten. Was der Wirtschaftsminister anführt, ist jedoch nicht der Hauptgrund dafür, warum Stahlarbeiter pessimistisch in die Zukunft blicken.

Tatsächlich ist der Export von Baustählen, der früher gute Einnahmen brachte, seit Juli 2023 von der EU praktisch unmöglich gemacht worden, erklärt Stahl Gerlafingen gegenüber dem Stahl-Branchendienst Kallanish. Seit 2023 hat die Schweiz kein eigenes Kontingent mehr für den Export in EU-Statten. Darum sei der Export eingebrochen. Das Unternehmen ist der Meinung:

"Die EU verletzt das Freihandelsabkommen, das sie 1972 mit der Schweiz abgeschlossen hat."

Parmelin hatte vor vier Jahren als damaliger Schweizer Bundespräsident die Verhandlungen um das EU-Rahmenabkommen abgebrochen. Er tat dies, obwohl die EU bereit war, weiter zu verhandeln. Parmelin wollte nicht. Daraufhin entschied man in Brüssel die bilateralen Verträge mit der Schweiz, in denen unter anderem zollfreie Exportkontingente geregelt sind, nicht zu verlängern.

Etwaige Zölle auf Schweizer Waren und Dienstleistungen, die auf dem riesigen EU-Binnenmarkt angeboten werden, sind ein Unsicherheitsfaktor. Die Handelsbeziehungen zwischen Bern und Brüssel werden in unzähligen kleinen Einzelverträgen für jede Wirtschaftsbereich einzeln geregelt.

Weil die Schweiz dem Wunsch der EU diese bilateralen Verträge durch ein Rahmenabkommen zu ersetzen nicht nachgekommen ist, fällt die Verlängerung dieser Verträge, was früher eine reine Formalität war, aus. Das Ergebnis sind Zölle auf Schweizer Produkte, die sich an den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) orientieren dürften.

Terms of Trade

Wird das Hochlohnland Schweiz künftig für den Verkauf seiner Produkte in der EU gleich hohe Zölle zahlen wie China oder Indien? Wenn ja, wird die Schweiz weniger verkaufen. Damit verschlechtert sich das Verhältnis zwischen Exporten und Importen (Terms of Trade). Tritt eine solche Verschlechterung eine, wertet sich die betroffene Währung oft ab.

Eine Verschlechterung der Terms of Trades würde daher seinen Niederschlag in der Schweizer Franken Kursentwicklung finden. Der Eurokurs hätte Platz über 1,00 Franken zu steigen. Im Falle einer Wirtschaftskrise, wie sie die Schweiz in den 1990er-Jahren durchlebte, wäre sogar ein Anstieg auf 1,10 möglich.

Der Berner Bundesrat werde es soweit nicht kommen lassen. Sollte sich eine Pleitewelle in der Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM-Industrie) anbahnen, wird man vor der EU kuschen, ist Konsens unter politischen Beobachtern.

Die, die in der Schweiz Stahl verarbeiten, haben im Vergleich zu denen, die Stahl erzeugen, eine deutlich höhere Wettbewerbsfähigkeit. Der Dachverband Economiesuisse hatte nach Parmelins Verhandlungsabbruch erklärt: Die Unternehmen kämen mit dieser Unsicherheit zurecht. Das war vor vier Jahren.

Tatsächlich hat die Schweiz inzwischen gekuscht. "Die Schweiz und die EU haben die Verhandlungen offiziell eröffnet." Ferner heißt es in einer Presseaussendung des Außenministeriums vom 18. März 2024: "Für die Schweiz ist ein massgeschneiderter Zugang zum EU-Binnenmarkt wichtig." Damit stellt sich die Frage:

"Wäre Parmelin 2021 nicht Bundespräsident gewesen, hätten die Stahlarbeiter ihre Stellen noch?"

In unserem Leben ist der Werkstoff Stahl immer dabei, weil er in so vielen Dingen und Sachen steckt. Prinzipiell ist es im wirtschaftlichen Interesse der Schweiz spezialisierte Hersteller und innovative Entwickler von Hochqualitätsstählen im Land zu haben (z. B. für den Tunnelbau). Die Politik kann das mit dem Setzen von Rahmenbedingungen unterstützen.

Interessanterweise geschieht das genau in Österreich. Hier wird und wurde der ehemalige auf Masse produzierende Stahlhersteller Voestalpine in einen Spezialanbieter von Hochqualitätsstählen umgebaut. Vielleicht sollte Parmelin einmal nach Linz reisen.

Zusammenfassung

Der starke Schweizer Franken dürfte sich wegen dem Streit über Wirtschaftsfragen zwischen der EU-Kommission und der Berner Regierung nicht merklich gegenüber dem Euro abschwächen. Eine dauerhafte Rückkehr der Euro-Franken-Rate über ein Austauschverhältnis 1 € = 1 CHF ist aufgrund den geraden eröffneten Verhandlungen zwischen Bern und Brüssel über den Zugang zum EU-Binnenmarkt unwahrscheinlich.

Entscheidend für den Wechselkurs des Euro zum Schweizer Franken ist die höhere Geldwertstabilität der Schweiz. Die Konsumentenpreise steigen im Schnitt um 1,5% verlangsamt gegenüber Deutschland und Österreich und noch langsamer gegenüber Frankreich und Italien.

Die tiefere Inflation fungiert für die EUR/CHF-Entwicklung wie die Leitplanken einer nach untern verlaufenden Serpentinenstraße eines Berghangs. Bis 2030 dürfte der Eurokurs daher auf 80 Rappen sinken, als auf 1,00 CHF zu steigen.

Quellen:
Stahl Gerlafingen entlässt bis zu 95 Mitarbeitende
Guy Parmelin hält Stahlindustrie nicht für «systemrelevant»
Stahl Gerlafingen closes production line
Schweiz und EU haben die Verhandlungen offiziell eröffnet

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